2007

Obwohl Alan beim Erscheinen von Liquid noch angekündigt hatte, schon bald wieder ein neues Album veröffentlichen zu wollen, dauerte es bis zum 25.06., ehe die Recoil-Single Prey erschien, der am 09.07. das Album SubHuman folgte, für das Alan den IGN-Award (bestes elektronisches Album) gewann.
Die Medien zeigten sich verwundert über die lange Pause, sodass fast jedes Interview mit der Frage begann, warum Alan denn so lange weg gewesen sei. Seine Antworten variierten von, dass er mehr Zeit mit seiner Familie habe verbringen wollen, über "ich habe immer mal wieder angefangen, Musik zu schreiben, aber es funktionierte nicht so richtig, was ich als Zeichen nahm, dass ich eine längere Pause brauchte",[1] bis hin, dass er über den schlechten Vertrieb und Promotionarbeit für Liquid verärgert gewesen sei. "Ich verstehe, dass sich die Zeiten ändern und dass die Art und Weise, an Musik zu kommen, sich sehr verändert hat. Heute sehe ich das sehr klar. Vor sieben Jahren hat mich das aber wenig getröstet, denn wir bekamen durchaus positives Feedback, sogar vom Radio. Es sah eigentlich sehr vielversprechend aus. Und dann findest du nirgends die Platte in den Läden. Das ist für jeden Musiker frustrierend."
Es gab auch Interviews, in denen er - zwischen den Zeilen oder direkt - zugab, dass er an sich gar nichts gemacht hatte, bis seine Frau schließlich genug hatte von dem "Rumhängen, trinken, Sport schauen, nichts tun" ..., und ihn dazu "ermutigte", wieder ins Studio zu gehen. Ihm wurde klar, dass er weitaus angenehmer (für sich und seine Mitmenschen) sei, wenn er kreativ sei. Nach einem technischen Update seines Studios, begann er, an SubHuman zu arbeiten.



Alan and Hepzibah

(mit freundlicher Genehmigung von © Jan Kruml - fotokruml.cz)



Alan: "Ich hatte zu Beginn keinerlei Vorstellungen, wohin es gehen sollte. Ich legte einfach los.[2] Es stellte sich bald heraus, dass die Grundstimmung sehr bluesbetont ist - eine sehr interessante Mischung aus Elektro und Swampblues. Dafür wünschte ich mir einen intensiven, authentischen Bluessänger."[3]
Er fand Joe Richardson (einen weißen Bluessänger aus New Orleans) ganz einfach über das Internet. Er schickte ihm Musik, zu der Joe etwas ausarbeitete, und schließlich trafen sie sich in Texas.
Alan: "Ich denke, einer der aufregendsten Momente war, nach Texas zu reisen und mit Joe aufzunehmen. Er ist ein fantastischer Musiker. Er hat mir viel mehr gegeben, als ich erwartete hatte, weil er auch ein großartiger Gitarrist und Harmonika-Spieler ist und eine wundervolle Stimme hat. Wir haben in einem semi-kommerziellen Studio aufgenommen, das sehr speziell war. Es ist nur für Freunde zugänglich und gehört einem Typen, der Unmengen an altem Equipment besitzt. Da gab es Momente, in denen ich dachte: 'Das ist es, wofür Recoil steht.' Eine Mischung aus Musikern, die aus vollkommen unterschiedlichen Gebieten kommen und zusammen etwas Modernes, Neues machen. Das war großartig."[4]
Danach sah Alan sich nach einer zweiten Stimme um, um einen Kontrast zu der kraftvollen, unverwechselbaren Stimme Richardsons zu schaffen. Es dauerte etwas, ehe er auf Carla Tresvaskis stieß.

Schließlich wurde auch der Titel für das Album gefunden - SubHuman - was zu der Spekulation führte, es könnte sich um ein "politisches" Album handeln.
Alan: "Ich habe keine großartige politische Botschaft an die Welt - das SubHuman-Konzept hat mehr etwas mit der menschlichen Natur zu tun. Der Titel soll schon ein wenig provozieren, aber er richtet sich nicht gegen eine spezielle Gruppe - es kann also um Rassismus gehen, um Homophobie, Klassenunterschiede, Politik usw. Er repräsentiert einfach ein sich ständig wiederholendes Muster im menschlichen Verhalten, in dem Unterdrückung ein endloser Kreislauf zu sein scheint, oft mit tragischen Konsequenzen, und in dem Menschen als wertlos betrachtet werden. Das Design kam von Jesse Holborn, der mit verschiedenen Ideen ankam, und mir gefielen am besten diese Schaufensterpuppen, die in alltäglichen Lebenssituationen gezeigt werden und dabei den Wegwerfcharakter repräsentieren."[5]



Während ich auf Anfragen bezüglich einer Erlaubnis zum Einfügen von Ausschnitten aus Depeche-Mode-Songs nie eine Antwort erhalten habe, erlaubte Alan mir dies in Bezug auf Recoil-Songs.
Dies ist ein Ausschnitt aus Intruders:

(mit freundlicher Genehmigung von © Recoil / Alan Wilder)



2007 erschienen auch Re-Releases alter DM-Alben, an deren Neuabmischung Alan mitarbeitete. "Ich denke nicht, dass ein anderes Bandmitglied die Zeit oder das Interesse aufgebracht hätte, sich da irgendwie einzubringen. Ich persönlich finde alles, was mit Platten, Aufnahmen oder Produktion zu tun hat, sehr interessant. Aber der Hauptgrund, warum ich hier gefragt wurde, war: Ich hatte all die ganzen raren Sounds gespeichert." (lacht) "Es ging aber nicht darum, einen radikalen Remix alter Songs anzufertigen. Ich war auch nur sporadisch involviert, hörte mir die Sachen an und sagte 'Ja', 'Nein', 'Ja' ..."[6]
Er stellte auch einiges seines privaten Filmmaterials für die Re-Releases-Dokumentation zur Verfügung. Während ihm die Kommentare nicht so gut gefielen, (ich kann nachvollziehen warum: Es wurde einiges so zurechtgerückt, wie man es gern gehabt hätte, anstatt wirklich etwas aufzuarbeiten), fand er die kleinen Filme, die für die Dokumentation zusammengeschnitten wurden, recht interessant.
Dave (zu den Re-Releases): "Es geht um das, was wir vor Jahren, gut 20 Jahren, begonnen haben. Es ist interessant, weil man seine Musik jemandem gibt, der damit arbeitet, etwas daraus macht. Ja, das ist etwas, was wir immer gemacht machen. Es ist ein Teil dessen geworden, was wir machen."[7]


trennlinie


Da wir gerade bei Dave sind - am 08.10. veröffentlichte er seine Solo-Single Kingdom / Tomorrow, der am 22.10. das Album Hourglass folgte. Er arbeitete hierbei mit Andrew Phillpott, der auch zum DM-Team gehört, und Christian Eigner, dem Live-Drummer der Band, zusammen.
Das Album war so eine Art "Unfall" oder "Beschäftigungstherapie", denn nach dem Ende von Touring the Angel wusste Dave nicht so recht, was er mit sich anfangen sollte. "Ich kam nach Hause und versuchte, zurück in den Alltag zu finden. Das ist nach einer Tour immer schwierig - man erwartet irgendwie, dass einem jemand einen Zettel unter der Tür durchschiebt, auf dem steht, was man an dem Tag zu tun hat." (lacht) "Man entwickelt neue Obsessionen, zum Beispiel, wie man eine Geschirrspülmaschine richtig einräumt und so'n Kram.[8] Daraus entstehen immer die größten Streitereien mit meiner Frau. Es geht darum, wie man die Maschine richtig belädt: Messer und Gabeln mit den Enden nach unten einsortieren zum Beispiel. Man kriegt mehr rein, wenn man es dort einsortiert, wo es hingehört. Wenn Jen aus dem Zimmer geht und die Maschine noch nicht läuft, sortiere ich das Geschirr und das Besteck richtig ein.[9] Man ist in der Persönlichkeit gefangen, die auf Tour hervorragend funktioniert, die aber keine ist, die man mit nach Hause nehmen will. Es ist: 'Ich will es alles, ich will es jetzt, ich nehme es mir, wann immer mir danach ist, und es ist mir egal, was du darüber denkst.'" Er gibt auch zu, dass er immer noch jemand ist, der "so ist: 'Sch***! Weißt du was? Es funktioniert nicht, es ist aus.' Das kommt von mir immer zuerst, anstatt: 'Lass uns darüber reden.' Es ist sehr kindisch. Meine Frau sagt oft zu mir: 'Gott, du bist wie Jimmy! Du führst dich wie ein Teenager auf!' Und ich stampfe im Zimmer umher und frage: 'Ja, und?!' Aber das funktioniert nicht."[10]

Nachdem er seiner Familie so etwa einen Monat lang auf den Geist gegangen war, "wurde mir vorgeschlagen, mir doch was zum Arbeiten zu suchen. Also rief ich Christian und Andrew an, und wir planten, uns zu treffen und ein paar Songs zu schreiben."[11]
Der erste Song, an dem sie arbeiteten, war Saw Something. "Es geht darum, herumzusitzen und auf etwas zu warten - Schutz vor etwas, eine Antwort auf etwas. Ich habe gelernt, dass man losgehen und es finden muss, dass man etwas tun muss. Ich ziehe es zwar vor, herumzusitzen und zu warten, aber es funktioniert nicht. Es hört sich verrückt an, aber ich glaube an so eine Art göttliche Intervention, sofern man es zulässt. Wenn man dem Leben erlaubt, zu passieren, wenn man nicht versucht, es in die Richtung zu zerren, von der man glaubt, es sei die richtige - was ich häufig tue -, dann passieren wirklich erstaunliche Dinge, Dinge, die man nicht erwartet hat. Aber man muss dennoch etwas dafür tun."[12]
Ansonsten gab es zunächst kein echtes Konzept. "Als wir anfingen, hatten wir nur ein paar musikalische Ideen, aber keine wirklichen Songs. Wir schrieben einfach drauf los. Nach zwei Wochen wurde uns klar, dass wir nicht bloß Demos aufnahmen, also dachten wir: 'Warum machen wir keine Platte?'[13] Wir beschlossen, das Album auf eigene Faust zu produzieren, was sehr viel mehr Arbeit war, als wir zunächst dachten. Aber es war auch ein wichtiger Lernprozess."[14] Dennoch betrug die Produktionszeit nur acht Wochen.



Dave

(mit freundlicher Genehmigung von © Adrianna -
Hier signiert Dave das Bild, das man unter 1990 sehen kann)



Da Paper Monsters sehr persönlich ist, stand zu vermuten, dass auch Hourglass autobiografische Elemente enthält.
Dave: "Ich muss immer mehr den Fakt akzeptieren, dass ich ein wenig älter werde. Es scheint stets ein Thema meines Lebens zu sein, dass ich gegen die Zeit ankämpfe. Ich bin ein 25-Jähriger im Körper eines 45-Jährigen. Ich schreibe mehr darüber, als etwa darüber, wer ich bin und was meine Frustrationen sind.[15] Meine Inspirationen kommen auch aus dem Leben um mich herum - du weißt schon, Teil einer Familie sein und verzweifelt versuchen, besser darin zu sein", (lacht) "und damit immer mal wieder auf die Schnauze zu fallen. Auch New York ist ein großartiger Ort, um daraus Inspiration zu ziehen. Ich verbringe viel Zeit damit, durch die Gegend zu laufen und unter den Menschen hier zu sein.[16] Mein kleines Studio befindet sich in einer der lebhaftesten Straßen der Stadt, sodass man Tag und Nacht die Atmosphäre New Yorks spürt. Auf einem der Tracks, Endless, da kann man die Straße im Hintergrund hören. An einer Stelle hört man das Hupen eines Autos. Wir haben das einfach drauf gelassen."[17]
Also hat er das Album als eine Art Therapie benutzt?
Dave: "Nun, ich bin nicht in Therapie - im Moment habe ich einen normalen Psychiater. Ich bin von den 'sei gut zu dir selbst'-Typen weg zu einem 'kommen wir zum Wesentlichen'-Typen gewechselt. Im Moment empfinde ich alles als besser geordnet. Mit einem Psychiater ist es mehr: 'Was denkst du, bedeutet das, David?' So'n Zeug. 'Ich weiß nicht, ich bezahle dich doch, damit du mir sagst, was es bedeutet!'"[18]

Am 14.01.2008 folgte mit Saw Something / Deeper and Deeper / Love Will Leave eine weitere Singleauskopplung aus Hourglass. Auf eine Solotour verzichtete Dave jedoch, denn am 05.05. begannen die Aufnahmen zu SOTU.






Quellenangaben:
[1] Entnommen aus: Artikel auf Shout!, 07.07.2007. Autor: Alex Davie.
[2] Entnommen aus: "Youtube ist einfach klasse", laut.de, 2007. Autor: Michael Schuh.
[3] Entnommen aus: Artikel auf Hurricanebar, 23.05.2007. Autor: Christina Mohr.
[4] Entnommen aus: Recoil in Bucharest - Interview with Alan Wilder, depechemode.ro, 2010. Autor: Otiliei Haraga.
[5] Entnommen aus: Artikel auf Shout!, 07.07.2007. Autor: Alex Davie.
[6] Entnommen aus: "Youtube ist einfach klasse", laut.de, 2007. Autor: Michael Schuh.
[7] Entnommen aus: Depeche Mode conclude reissue series with Ultra and Exciter, ArtisanNewsService, 30.07.2007. Autor: unbekannt.
[8] Entnommen aus: Artikel in Prefix, 25.03.2008. Autor: Jen Zipf.
[9] Entnommen aus: This much I know, The Guardian, 28.10.2007. Autor: Johnny Davis
[10] Entnommen aus: I don't want to lose what I have, Scotsman, 29.09.2007. Autor: Paul Lester.
[11] Entnommen aus: Artikel in Prefix, 25.03.2008. Autor: Jen Zipf.
[12] Entnommen aus: Artikel auf Shout! 28.01.2008. Autor: Alex Davie.
[13] Entnommen aus: Gahan Digs 'Deeper' On Second Solo Album, Billboard.com, 2007. Autor: unbekannt.
[14] Entnommen aus: Artikel auf NME.com, 06.09.2006. Autor: unbekannt.
[15] Entnommen aus: Gahan Digs 'Deeper' On Second Solo Album, Billboard.com, 2007. Autor: unbekannt.
[16] Entnommen aus: Artikel in Prefix, 25.03.2008. Autor: Jen Zipf.
[17] Entnommen aus: Artikel auf NME.com, 06.09.2006. Autor: unbekannt.
[18] Entnommen aus: I don't want to lose what I have, Scotsman, 29.09.2007. Autor: Paul Lester.



Biografiefaden: 2008

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