1987
Anfang 1987 ging die Band in Alans Homestudio, um Martins Demos zu
Music for the Masses neu zu arrangieren. (Gerüchteweise heißt es, Martin
habe sich an der Umgestaltung seiner Demos so gut wie überhaupt nicht beteiligt.
Es ist auch nicht klar, ob das Demo von Little 15, das 2009 mit der
Deluxe-Box zur SOTU veröffentlicht wurde, das Originaldemo oder das
überarbeitete ist.) DM arbeitete hierbei mit einem neuen Team - die Band allein mit
Co-Produzent Dave Bascombe, der sich später mal bescheiden als "besserer Toningenieur"
bezeichnen sollte. Music for the Masses war somit mehr oder weniger ein
selbst produziertes Album.
Alan: "In den früheren Jahren waren alle im Studio, was dann auch manchmal
dazu führte, dass viel geredet und Blödsinn gemacht wurde. Später wurde uns klar,
dass weniger Leute effektiver wären. Bei den letzten Alben waren nur noch die im
Studio, die gebraucht wurden."[1]
Somit wurden die Rollen innerhalb der Band über die Jahre immer mehr definiert.
Einerseits ist das gut für die Effektivität und den kreativen Prozess, andererseits
kann es dazu führen, dass sich die Teammitglieder mit der Zeit voneinander entfernen,
vielleicht sogar ohne es zunächst zu merken.
Zu der Zeit, als sie Music for the Masses und später auch Violator aufnahmen, funktionierte diese Art der Aufteilung jedoch sehr gut. Die gewählten Rollen und das Konzept des Teams gingen in Bezug auf die Kreativität voll auf. So sagt Steve Lyon, der bei Violator und SOFAD als Toningenieur dabei war (speziell nach der Teamarbeit und der Rolle von Dave befragt): "Ich kam zur Produktion von Violator hinzu, als ein Song fertig und die übrigen Songs etwa zur Hälfte fertig waren, aber noch keinen Gesang hatten. Dave war nicht wirklich daran beteiligt, was das Kreieren des Sounds oder die Grundrichtung der Songs anbelangte. Er kam und sang und leistete fantastische Arbeit, war aber eben nicht wirklich an der kreativen Arbeit beteiligt. Ich denke, er war in seiner Rolle aber dennoch sehr positiv und unterstützte uns bei dem, was wir machten. Ich denke, das Team funktionierte wirklich gut. Es gab kaum Konflikte. Sie hatten einen gewissen Stil und einen Sound entwickelt und wussten, dass dies so vorher bei Alben wie Black Celebration oder Music for the Masses funktioniert hatte. Sie hatten bewiesen, dass das Team funktionierte. In anderen Szenarien, in denen ich gearbeitet habe, war das nicht der Fall. Andere Bands arbeiten total anders, und das ist der Grund, warum Depeche im Studio so gut funktionierte. Es waren auch nie irgendwelche Türen verschlossen. Ganz im Gegenteil. Je mehr man einbringen konnte ... weißt du, ich konnte mich an Alan und Flood wenden und fragen: 'Wie ist es hiermit? Was ist mit diesem Sound?' ... umso aufgeregter wurde die gesamte Crew."[2]
Und obwohl sie anfingen, neue Arbeitsmethoden zu entwickeln, suchten sie immer noch
nach neuen Samples.
Alan: "Jedes Mal, bevor wir aufzunehmen beginnen, verbringen wir einen Tag
oder auch mal vier Tage, um an unserer Sound-Bibliothek zu arbeiten oder sie zu
ergänzen. Manchmal gehen wir sogar mit einigen Mikrofonen und einem Rekorder raus
und nehmen z.B. seltsame Geräusche auf einem Schrottplatz auf. Später, im Studio,
probieren wir aus, welche Sounds am besten zu welchen Songs passen. Innerhalb der
Gruppe experimentieren wir viel mit Samples, und ich muss sagen, dass einige Sounds
eine Inspiration für die Melodien sind. Sampling hat etwas von Vampirismus. Man
nimmt das, was man braucht, und den Rest, den Körper, schmeißt man weg."[3]
Nach der Vorphase in Alans Homestudio, die man später als "eher unnötig" ansehen würde,
zog die Band in die Guillaume Tell Studios in Paris um.
Alan mochte das Pariser Studio allerdings nicht sonderlich: "Von den Möglichkeiten
her war es sehr gut, aber der Kontrollraum war schäbig, und nach sechs Wochen hat
man echt genug davon. Jedes Mal, wenn man ins Studio geht, ist man in den ersten
Wochen sehr enthusiastisch - nach einer längeren Phase ist jeder angespannt und
man kriegt immer weniger hin. Die letzte Woche in Paris - jeder hatte genug und
wollte nach Hause."
Fletch: "Wir haben Paris wegen des Studios und der Umgebung ausgesucht. Wir
arbeiten nach einem strengen Stundenplan: Rein um ein Uhr nachmittags, bis ein
Uhr am Morgen durcharbeiten, mit einer Pause fürs Abendessen. Wenn wir um ein Uhr
morgens rauskommen, sind wir hyperaktiv. In London muss man dann nach Hause,
in Paris kann man noch auf einen Drink gehen. So kann man entspannen."[4]
DMs Infrastruktur wuchs, es wurde ein professionelles Management angeheuert,
(wenngleich die Band auch noch viele Jahre später sagen würde, sie hätte keines,
allerdings wüsste ich nicht, was Jonathan Kessler sonst sein sollte) und Fletch
übernahm die Rolle desjenigen, der die Kommunikation zwischen allen aufrechterhielt
und sich um kleinere Details kümmerte. Nach wie vor war er das Sprachrohr Martins
und soll, Gerüchten zufolge, im Studio schon mal recht taktlos gewesen sein.
(mit freundlicher Genehmigung von Alan Wilder)
Am 13.04. brachten DM mit Strangelove / Agent Orange / Pimpf eine
Vorabsingle heraus.
Alan: "Strangelove war das totale Gegenteil von einem Song wie
Stripped. Da er aus vielen kleinen Teilen besteht, war es sehr schwierig,
ihn zusammenzusetzen und ein Element zu finden, das alle miteinander verband."
Die Single wurde vor der Endabmischung von Music for the Masses veröffentlicht.
Die Albumversion von Strangelove wurde hierbei anders gestaltet, eine Art Mix
aus dem Originalsong und der 12"-Version (Blind Mix) von Daniel Miller. Der
Erfolg der Band in ihrem Heimatland ließ zu dieser Zeit mehr und mehr nach.
Strangelove erreichte nur Platz 16 in den UK Charts. Dafür nahm der Erfolg
im übrigen Europa zu. So war die Single in den meisten westeuropäischen Ländern
in den Top Ten, in Deutschland auf Platz 2.
Neben dem 7"-Mix von Strangelove wurden noch der Maxi Mix, der
Midi Mix, der Blind Mix, der Pain Mix und der Fresh Ground Mix
(die letzten beiden wurden von Phil Harding geremixt). Für die US-Veröffentlichungen
wurden noch weitere Remixe angefertigt. Weiterhin gab es noch einige Remixe von
Nothing. Es gab keine weiteren Versionen von Agent Orange (ein
Instrumentalstück, das sehr danach klingt, als hätte Alan es komponiert, aber es
stammt aus Martins Feder), während es von dem anderen Instrumentalsong Pimpf
eine Version namens Fpmip gibt.
Das Video zu Strangelove wurde von Anton Corbijn in Paris gedreht. Er fertigte
auch ein Video zu Pimpf an. (Während das Video Martin am Klavier zeigt,
stammt das Klavierspiel auf der Studioaufnahme von Alan.) Da die amerikanische
Plattenfirma auf einem Alternativvideo zu Strangelove bestand, wurde noch ein
zweites von Martyn Atkins produziert.
Alan: "Es hatte vermutlich etwas damit zu tun, dass die amerikanische Plattenfirma
und / oder MTV nicht glücklich mit Antons Version waren."[5]
Etwa zur gleichen Zeit machten sie sich bei dem Versuch, ihr Langweiler-Image
loszuwerden, lächerlich, indem sie eine "Party" für das Magazin Smash Hits
schmissen. Es wurde zum Desaster. Fletch, Martin und Dave besoffen sich, Fletch
kroch unter den Tischen herum, Martin zog sich aus und Dave textete die Journalisten zu.
Dave: "Die Franzosen sind unglaublich, die hingen vor dem Studio rum, und wenn
wir rauskamen, drängelten sie sich alle ran und fragten: 'War es das? War das
die Single, die wir gerade gehört haben? War es die Single?' Und da war ein Typ,
ein kompletter Spinner, der tagelang und nächtelang vor unserem Hotel rumhing,
und er sagte nie was, fotografierte uns nur dauernd. Er hatte eine Tarnjacke an,
und wir dachten, er würde uns in die Luft sprengen oder so, und wir diskutierten
immer: 'Ich gehe nicht als Erster durch die Tür!, Ich auch nicht!, Also, ich nicht!',
und so - es war sehr verrückt."
Als Alan, der das alles überhaupt nicht lustig fand, auf Toilette ging, sagt
Dave: "Er amüsiert sich! Wirklich ..."
Martin: "Ja! Er ist ganz verrückt!"
Dave: "Ich kann es sagen - er ist auf dem Klo! Es geht ihm gut! Man kann das
an seinen Augenbrauen ablesen. Wenn er wirklich aufgeregt ist, geht seine linke
Augenbraue hoch. Und wenn er depressiv ist, dann hängt die rechte runter. Ob er
ganz still ist? Nein, nein, er ist der alte Mann der Band, oder? Ich meine, er
ist 27, 28 - er ist wahrscheinlich schon schlafen gegangen! Ob er weiß, dass wir
so über ihn reden? Äh ... nein!" (lacht).
Warum ich überhaupt auf diesen Artikel eingehe? Nun, er zeigte vor allem eins
deutlich: Die Streitereien, die nach Some Great Reward begonnen hatten,
waren keineswegs beigelegt worden. Vielmehr schienen sich die Konflikte innerhalb
der Band fortgesetzt zu haben, was auch Alans Aussage zu diesem Artikel
zeigt: "Ich denke, es ist eine komplette Farce. Ein Fiasko. Ich nehme an, du
denkst, wir kommen gut miteinander aus und es ist immer so - nun, ist es nicht!
Wir streiten uns ständig, und das ist wahr und nicht ... das. Ich weiß, ich bin
zynisch, aber ich bin auch realistisch."[6]
Es scheint, als wäre es von da an etwas härter zugegangen, aber ich denke nicht,
dass es zu dieser Zeit bereits unerträglich war. Es gab einige Artikel - vor allem
in Teenie-Magazinen -, die Konflikte implementierten, die nicht vorhanden waren.
DM steuerten auf einen Höhepunkt ihrer Karriere zu und genossen dies definitiv.
Es scheint, dass es eine Zeit voller Energie war, wenngleich die "Entwicklung"
der Probleme weiter voranschritt.
Da die Band mit der Singleversion von Strangelove nicht allzu glücklich war,
wurde danach noch eine Weile an dem Song und natürlich auch an dem Album gebastelt.
Die meisten seiner Gesangsparts nahm Dave in den Konk Studios in London auf, um in
der Nähe seiner Frau zu sein, denn diese erwartete das lang ersehnte Baby. "Meine Frau
Jo und ich werden im Oktober ein Baby bekommen. Ich bin sehr aufgeregt deswegen,
weil wir das schon so lange wollten. Wir haben es eine Weile versucht und nichts
passierte. Als wir aufhörten, uns darauf zu versteifen", (ich habe keinen anderen Ausdruck
dafür gefunden, ehrlich ... ;-)), "wurde sie schwanger. Typisch. Ich hoffe, es kommt
vor der Tournee. Ich kann mir nichts Schlimmeres vorstellen, als auf der Bühne zu
sein und jemand flüstert mir ins Ohr, dass Jo gerade das Baby bekommt. Ich meine, was
soll ich machen? Ich kann nicht zu 10.000 Leuten sagen: 'Entschuldigung, meine Frau
bekommt gerade ein Baby, ich muss gehen!' Ich möchte dabei sein - definitiv. Alans
Freundin, Jeri, ist sehr esoterisch, und ungefähr eine Woche, bevor wir wussten,
dass Jo schwanger ist, kam sie zu mir und fragte mich: 'Bekommt Jo ein Baby?' Es
stellte sich heraus, dass sie davon geträumt hatte."
In der Zwischenzeit hatte Jo nicht nur aufgehört, mit auf Tournee zu kommen,
sondern sie gab auch die Leitung des Fanclubs ab.
Dave: "Es wurde ein bisschen viel. Ich kam nach Hause, und da waren überall
Poster und Platten ... alles, was ich wollte, war eine Pause! Ich konnte damit
nicht umgehen! Ich kam einfach nicht weg von DM. Es kam so weit, dass wir nicht
mehr miteinander redeten. Sie fragte mich Sachen wie: 'Welche Farbe hatten die
Socken, die du in der Nacht in Berlin anhattest?'"[7]
In diesem Jahr sah Dave sich auch dazu gezwungen, Basildon zu verlassen und südlich der Themse zu ziehen: "Es waren ständig Fans vor meinem Haus. Deshalb mussten wir umziehen. Es waren Fans von überallher dort, aus Deutschland, Frankreich, Amerika, überallher. Sie schrieben sich untereinander, es machte die Runde, und wenn ich am Morgen die Tür öffnete, standen diese Leute auf der Türschwelle. Manchmal öffnete ich die Gardinen, und dann stand da jemand mit einer Kamera. Es waren nicht alles junge Mädchen. Da war dieser Typ[8] - sein Name ist Sean - der einen Privatdetektiv engagierte, der mir vom Studio aus folgte, um rauszufinden, wo ich wohne.[9] Ich erinnere mich an dieses Auto ein paar Wochen später, quer auf der Straße geparkt, und es war voller Fans. Sie schauten durch die Fenster, und sie war immer da.[10] Sie hingen in meiner Einfahrt rum. Irgendwann jagte ich sie mit meinem Hund auf die Straße, weil sie um zwei Uhr morgens unsere Songs vor meinem Haus sangen.[11] Und eines Tages hatten sie schließlich genug Mut, um mich zu besuchen. Also klopften sie an die Tür[12] - und ich bin ausgerastet. Ich schrie diesen Typen an. Ich sagte ihm, er solle sich verp***. Später schickte ich dem Typen einen Brief, sagte ihm, es täte mir leid, aber ich wolle nicht, dass er wiederkäme, dass meine Privatsphäre gewahrt bleiben müsse. Er schrieb zurück, ja, es täte ihm leid und dass er meinen Ärger verstehen könne, aber am Ende des Briefes schrieb er: 'Dürfte ich wohl nächstes Wochenende vorbei kommen?' Da beschloss ich, umzuziehen."[13]
(Never Let Me Down Again - mit freundlicher Genehmigung von © J. Miguel Caldera)
Zum Abmischen zog sich die Band in die abgelegenen Puk Studios in Dänemark zurück. Richtig zufrieden waren DM mit Music for the Masses jedoch nicht, da die Demos zu wenig Raum für Experimente ließen. Daher wurde Martin gebeten, die Demos für das nächste Album unfertiger zu gestalten.
Am 24.08. erschien die Single Never Let Me Down Again / Pleasure, Little
Treasure und avancierte zum All-Time-Klassiker. Der Trend der
"Erfolgsverschiebung" setzte sich fort. Während die Single in Großbritannien
nur Platz 22 erreichte, war sie ein Hit in den übrigen westeuropäischen Ländern.
Neben der 7"-Single Version von Never Let Me Down Again wurden noch der
Split Mix, der Aggro Mix und der Tsangarides Mix (von Chris
Tsangarides) veröffentlicht. Es gab auch zwei verschiedene Versionen von Pleasure, Little
Treasure, den Glitter Mix und den Join Mix (von John Fryer &
Paul Kendall). Einige Veröffentlichungen beinhalteten zudem To Have and To Hold
(Spanish Taster).
Die Band war natürlich sehr stolz auf Never Let Me Down Again, insbesondere
auf die Entwicklung, die sie genommen hatten. Von dieser Zeit an - beginnend mit
Black Celebration - versuchten sie, in immer neue Dimensionen vorzustoßen,
anstatt sich auf festen musikalischen Formeln auszuruhen.
Dave: "Songs wie Everything Counts und People Are People werden
für immer bleiben. Ich wette, in zehn Jahren werden andere Bands diese Songs covern.
Unsere Songs transportieren immer eine Atmosphäre: traurig oder optimistisch, es
hat Substanz. Die neue Single Never Let Me Down Again macht mir eine Gänsehaut.
Nicht alle diese Songs haben einen solchen Effekt auf mich, aber dieser besonders.
Ich liebe diese Spannung, die er erzeugt. Die Leute nennen DM eine elektronische
Band, aber das ist falsch. Wir benutzen alles, Gitarre, Schlagzeug ... das Einzige,
das wir ablehnen, sind Limits."[14]
Lustig ist, wie recht er mit den Coversongs hatte. Inzwischen gibt es so viele
Coverversionen und Fanremixe, dass man sie kaum noch zählen kann.
Martin: "Da gab es mal eine Geschichte in Bezug auf Never Let Me Down
Again, als zwei Leute, die nichts miteinander zu tun hatten, nach einem Konzert
zu mir kamen, und sagten, dass sie diesen Song liebten. Einer meinte, es sei
eine Schwulen-Hymne, der andere dachte, es sei eine Drogen-Hymne."[15]
Er selbst würde eher zu der Drogen-Hymne tendieren, eine Flucht mittels Drogen
vor der Realität. Dies ist auch der ungefähre Faden, dem man folgen kann, wenn es
darum geht, die Texte von Music for the Masses zu interpretieren. In den
meisten geht es darum, von irgendwas "high" zu sein - von Drogen, Liebe oder Religion.
Alan: Never Let Me Down Again "stach von Anfang an als offensichtliche
Single heraus, versprach ein Gefühl wie bei Stripped. Es ist eine Hymne, die
ihr Potential vor allem dann offenbart, wenn der Song live gespielt wird und das
ganze Publikum unisono die Arme schwenkt - ein Depeche-Höhepunkt, denke ich."
Auch benannte er die Zeile Promises me I'm as safe as houses, as long as I
remember who's wearing the trousers als diejenige, die den meisten Eindruck
auf ihn gemacht habe. Und auch über das Video sagt er: "Das ist eins meiner liebsten
Anton-Filme. Er vermittelt ein großartiges Gefühl und eine Stimmung, die genau zu
dem Song passt."[16]
Übrigens - wusstest du, dass Never Let Me Down Again der am häufigsten gespielte Song bei Konzerten ist? Obwohl einige alte Setlisten fehlen, ist klar, dass Never Let Me Down Again mit etwa 720 Mal an der Spitze steht, gefolgt von Enjoy the Silence, Personal Jesus, A Question of Time, Stripped und Everything Counts (jeweils etwa 620 Mal gespielt.) [Die Tour zur Delta Machine wurde nicht mitgezählt. Die Statistik wurde nach Touring The Universe angefertigt.]
Die Band bereitete sich auf die Veröffentlichung des Albums vor.
Martin: "Das Album wird Music for the Masses heißen. Was ein kleiner
Scherz ist, wenn man bedenkt, wie viele Leute uns hassen."
Dave: "Man würde nicht glauben, dass es möglich ist, eine Band so zu hassen,
wie uns einige Leute hassen."
Martin: "Ich denke, unsere Musik hat nie das generelle Publikum erreicht.
Daher ist der Albumtitel ein Witz, es sind nur Fans, die es kaufen werden."
Es war für DM auch schwierig, im Radio gespielt zu werden.
Martin: "Wir sind da ein bisschen in einem Dilemma, weil unserer Musik nicht
richtig ins Programm passt, also werden wir nicht so oft gespielt wie andere.
Und wenn wir das schwierig finden - und wir denken, wir sind ziemlich kommerziell -
muss es unmöglich sein, wenn man wirklich eine alternative Band ist."[17]
Tatsächlich wurden später weder Ultra noch Exciter von den großen
englischen Radiostationen gespielt, aber auch schon in den 1980ern war dies
durchaus kompliziert.
Fletch: "Vermutlich sind wir immer noch eine Kultband, weil wir es schwierig
finden, bei jemand anderem anzukommen, außer bei unseren Fans."
Martin: "Ich denke, es ist besser, eine Kultband zu sein, als einfach nur
eine große, erfolgreiche Band. Ich denke, man kann mehr daraus machen, und es ist
ein besseres Gefühl.[18] Ich denke, es hängt mit der Intimität der Musik zusammen.
Die Leute haben einen persönlichen Bezug zu den Songs. Und obwohl das eine Art
Widerspruch darstellt, wenn man ein Konzert vor 17.000 Leuten spielt - die Intimität
ist trotzdem noch da. Die Leute empfinden Depeche Mode als ihr Kult-Ding, und wollen
gar nicht, dass die Musik zum Mainstream wird, egal, wie sie sich anhört, und egal,
was wir tun."[19]
So schwer es der Band fiel, zu erklären, warum sie "Kult" waren, so schwer taten
sich auch die Fans damit, die an der Befragung von depechemodebiographie.de
teilnahmen. Neben der persönlichen Identifikation mit der Musik war es wohl jene
"Magie", die DM zu einer Macht in den Konzerthallen werden ließ.
"Man kann sie nicht vergleichen, sie befinden sich in einer eigenen Liga", "Sie waren
absolut einzigartig, cool und anders, und als Fan erschien man anderen ebenso
einzigartig, anders und seltsam. Ich kam mir wie ein komischer Freak vor. Es war
so was wie eine Revolution." Die Tatsache, dass sie "extrem populär" sind, "ohne
berühmt zu sein", stellt eines jener DM-Phänomene dar, die Fletch mit "wir
finden es schwierig, bei jemand anderem anzukommen, außer bei unseren Fans"
zusammenfasste und ein Fan mit "sie sind das bestgehütete Geheimnis der Musikwelt"
auf den Punkt brachte. "DM gelingt ein faszinierender Drahtseilakt zwischen
Underground und Mainstream, Andersartigkeit und Identifikation, Melancholie und
Hoffnung", beschrieb ein anderer Fan dieses Mysterium.
Dies gilt gleichsam für die Fans. Ihnen gelingt ein Drahtseilakt zwischen absoluter
Individualität und einem Gemeinschaftsgefühl, das "Devotees" auf der ganzen Welt
miteinander verbindet, ganz gleich, ob sie die Band nun als "Kult" empfinden oder nicht.
Und während es zwischen den Fans auf aller Welt eine rege Kommunikation gibt, fiel
und fällt dies der Band selbst eher schwer.
Martin: "Es stimmt, dass viele Depeche-Songs von Kommunikationsproblemen
handeln. Es gibt viele wiederkehrende Themen in meinen Songs. Ein Thema ist
Desillusion und Inhaltslosigkeit. Viele Songs handeln auch von der Suche nach
Unschuld. Ich habe die Theorie, dass man immer desillusionierter wird, je älter
man wird, und man seine glücklichste Zeit im Teenageralter hat. Wenn man älter
wird und mehr lernt, nutzt sich das Leben praktisch ab. Wir machen Geld aus dem
Trott, in dem wir und andere stecken." (lacht) "Wir sehnen uns nach etwas
Depressiverem, das uns aus unserer Langeweile reißt." (lacht) "Du siehst, wir sind
eine lustige Band bei Interviews." (kichert) "Ich denke, wir verkaufen mehr Platten
im Ausland als in England, weil uns die Ausländer nicht verstehen. Sie hören uns
lachen und kaufen es." (lacht)
Zur Zeile What am I trying to say? / I'm not trying to tell you anything you
didn't know when you woke up today in Nothing, erklärt Martin:
"Ich denke, dass diese Zeile die Wahrheit aller unserer Songs ausdrückt. Wenn man
einen guten Song schreibt, dann erzählt man damit niemandem etwas Neues. Was man macht,
ist, ein Gefühl auszudrücken, das jemand anderes teilen kann."[20]
Zu To Have and To Hold erläutert Alan: "Martin stellte sein Demo auf
die übliche Weise vor, und obwohl ich den Song mochte, war er in der Originalversion
für meinen Geschmack zu 'leichtgewichtig' (auch für das Album). Daher gab ich ihm
eine dunklere, atmosphärische Basis. Dies war dann die Version, die auf das Album
sollte. Martin mochte seine ursprüngliche, poppigere Version jedoch so sehr, dass
er darauf bestand, sie ebenfalls aufzunehmen, und daraus wurde dann der Spanish
Taster. Wir haben uns deswegen nicht gestritten, wir sahen den Song nur
unterschiedlich. Ich denke nicht, dass es ein besseres Beispiel für unsere
unterschiedlichen musikalischen Auffassungen gibt."[21]
Es ist interessant, diese beiden Versionen miteinander zu vergleichen, denn sie
zeigen in der Tat die unterschiedlichen Sichtweisen dieser beiden musikalischen
Köpfe der Band. Während die Albumversion sehr atmosphärisch und düster ist, ist
der Spanish Taster eher minimalistisch und melodisch.
Der Anfang von To Have and To Hold wurde übrigens einer russischen
Nachrichtensendung entnommen und bedeutet übersetzt in etwa: "In diesen Berichten wird
die Entwicklung nuklearer Arsenale und sozial-psychologische Aspekte der bewaffneten
Rasse betrachtet."
Ich wurde von einem Leser gefragt, ob damit eine politische Aussage getroffen werden
sollte, aber Alan sagte mal, dass sie überhaupt keine Ahnung gehabt hätten, was der
Satz bedeute. Es klang interessant für sie, also wurde es verwendet.
Da ich nie eine eindeutige Genehmigung erhalten habe, Ausschnitte aus
Depeche-Mode-Songs auf dieser Webseite streamen zu dürfen, beschloss ich,
Künstler zu fragen, die Coverversionen eingespielt hatten.
Hier somit ein Ausschnitt aus To Have and to Hold von Bay Laurel:
(mit freundlicher Genehmigung von © Bay Laurel)
Am 28.09. wurde das Album Music for the Masses veröffentlicht. Das Album
erreichte Platz 35 in den amerikanischen Billboard 200 und war damit das bis
dahin höchstplatzierte dort. Auch enthielt es mehr Hitsingles als alle vorherigen
Veröffentlichungen.
Während Alan die Keyboards für die Tour programmierte, wurde Dave Vater. Am
14.10. wurde Sohn Jack geboren, wenige Tage vor dem Tourstart.
Die Masses-Tour teilte sich in fünf Abschnitte auf und begann am 22.10. mit
dem ersten europäischen Leg, der 19 Konzerte umfasste und am 18.11. endete.
Der erste amerikanische Leg mit elf Konzerte reichte vom 01.12. bis zum 18.12.
Am 28.12. erschien Behind the Wheel / Route 66 als weitere
Singleauskopplung. Neben der 7"-Version von Behind the Wheel wurden noch
zwei weitere Versionen angefertigt, den Shep Pettibone Mix und den Beatmasters Mix.
Auf einigen US-Veröffentlichungen gab es noch weitere Remixe. Ähnliches war bei
Route 66 der Fall. Auf den UK-Veröffentlichungen gab es den
Beatmasters Mix und den Casualty Mix, und es gab noch weitere auf
anderen Veröffentlichungen.
Route 66 war keineswegs so geplant gewesen, erst recht nicht als A-Seite,
denn mit dieser erschien die Single in den USA.
Fletch: "Das war eigentlich ein Unfall. Es war nur als Spaß gedacht gewesen,
aber die Amerikaner mochten es und wollten es unbedingt. Es ist eigentlich eine
Schande, weil wir denken, dass Behind the Wheel, was als A-Seite gedacht war,
der bessere Song ist. Route 66 ist ein gutes Lied, es ist nur, wir mögen
eigentlich keine Coversongs, besonders, wenn wir unsere eigenen Lieder zur
Verfügung haben. Es war nur als Zeitvertreib gedacht. Wir werden auch keine
weiteren Singleauskopplungen bringen. Wir haben das nie so gemacht wie Madonna
oder so und bringen acht Singleauskopplungen von einem Album. Wir denken, es ist
eine Verschwendung: das Album ist das Album und man bringt Singles davon raus, um
das Album zu vermarkten, aber, ich meine, man darf das nicht überstrapazieren."[22]
(Allerdings gab es danach mit Little 15 noch eine weitere Singleauskopplung.)
Route 66 stammt zwar im Original von der Bobby Troup-Band, doch nur Text
und Gesangsmelodie entstammen dem Original. Als Musik wurde stattdessen
Behind the Wheel verwendet. Martin hat den Leadgesang bei Route 66,
das vielleicht Aggressivste, was er je gesungen hat. Live wurde es dann von Dave
gesungen. Das Video zu Behind the Wheel stammte wiederum von Anton Corbijn.
(Behind the Wheel - mit freundlicher Genehmigung von © Marina Muolo)
Zum Schluss dieses Kapitels noch zwei kleine, interessante Aussagen:
1989 erzählt Martin: "Vor zwei Jahren haben wir ein kleines Übereinkommen
mit Daniel [Miller] unterzeichnet, weil wir überlegt haben, was passieren würde,
falls Daniel sterben sollte. Er war ziemlich übergewichtig zu der Zeit und sollte
er sterben, würden wir keinen Penny bekommen. Also gibt es jetzt ein Stück Papier
darüber, dass wir auf einer 50:50-Basis zu bezahlen sind. In England bezahlen wir
50% unserer Kosten und bekommen 50% unserer Gewinne. In Europa bekommen wir 75%
der Gewinne durch Lizenzverträge."[23]
Bis zu diesem Zeitpunkt gab es tatsächlich keinen offiziellen Vertrag mit Mute,
nur mit den Lizenznehmern.
Interessant für spätere Jahre war diese Aussage:
Alan: "Die Hauptgefahr beim Songschreiben besteht darin, sich zu wiederholen.
In diesem Geschäft wiederholt sich vieles und Martins Songs ... Er wiederholt sich
ziemlich oft. Ich denke, Dave hat das Bestreben, etwas zu schreiben, ist aber unsicher,
etwas vorzutragen. Denn, wenn er es täte, wäre es eine sehr raue Form, da er kein
Instrument spielen kann. Ich denke dennoch, er hat Ideen für Songs und Texte. Ich habe
geschriebene Sachen, aber ich bin nicht glücklich damit."[24]
Dies würde bedeuten, dass Fletch, der später mal behauptete, Dave hätte nie Ambitionen
zum Songschreiben gehabt, entweder nicht richtig informiert gewesen war oder falsch
zitiert wurde.
Denn als ich Gelegenheit hatte, nachzufragen, bestätigt Alan die damals
getätigte Aussage: "Doch, Dave hatte Ambitionen dazu und er sprach auch über Songs,
die er gern vorgeschlagen hätte. Aber er hatte offenbar nicht den Mut, sie tatsächlich
zu präsentieren."[25]
Und auch Dave sagt viele Jahre später: "Ich fing Mitte der 1980er an, mit
Worten herumzuspielen, aber ich konnte es Martin nicht vortragen. Ich hatte Angst,
zurückgewiesen und ausgelacht zu werden."[26]
Quellenangaben:
[1] www.recoil.co.uk
[2] depechemodebiographie.de
[3] Entnommen aus: The Jagger Reports - Interview with Alan Wilder, Backstage, April 1988. Autor: Chris Jagger.
[4] Entnommen aus: Mode-Al, Making Music, Juni 1987. Autor: Jon Lewin.
[5] www.recoil.co.uk
[6] Entnommen aus: Fzss!...Zwiing! Aargh!..Hahahah!! Smash Hits, 06.-19.05.1987. Autor: Sylvia Patterson.
[7] Entnommen aus: Intimate Details, No. 1, 12.09.1987. Autor: unbekannt.
[8] Entnommen aus: Real Gahan Kid, Sky, März 1990. Autor: Paul Lester.
[9] Entnommen aus: Violator, Alligator, NME, 07.07.1990. Autor: Jeff Giles.
[10] Entnommen aus: Real Gahan Kid, Sky, März 1990. Autor: Paul Lester.
[11] Entnommen aus: Violator, Alligator, NME, 07.07.1990. Autor: Jeff Giles.
[12] Entnommen aus: Real Gahan Kid, Sky, März 1990. Autor: Paul Lester.
[13] Entnommen aus: Violator, Alligator, NME, 07.07.1990. Autor: Jeff Giles.
[14] Entnommen aus: 80's, Mode d'Emploi, Best, Oktober 1987. Autor: Gerard Bar-David.
[15] Entnommen aus: Artikel im Rolling Stone, 1993. Autor: Marvin Scott Jarrett.
[16] www.recoil.co.uk
[17] Entnommen aus: Mass Appeal, Underground, August 1987. Autor: Carole Linfield.
[18] Entnommen aus: Dep Jam, Record Mirror, 22.08.1987. Autor: Francesco Adinolfi.
[19] Entnommen aus: Faith, Hope and Depravity, Select, Dezember 1990. Autor: Andrew Harrison.
[20] Entnommen aus: The Dire Straits of the Synth Generation? Sounds, 05.09.1987. Autor: Jack Barron.
[21] www.recoil.co.uk
[22] Entnommen aus: Depeche Mode: The Interview, Talking Music SPEEK013, 1988. Interviewer: unbekannt.
[23] Entnommen aus: The Unlikely Lads, Q, April 1989. Autor: Mat Snow.
[24] Entnommen aus: Mode-Al, Making Music, Juni 1987. Autor: Jon Lewin.
[25] depechemodebiographie.de
[26] Entnommen aus: Interview with Dave Gahan, Mojo, 22.03.2013. Autor: Martin Aston.