2015, 2016 & 2017
Nach dem Ende der Delta Machine-Tour wandelten Dave und Martin beide auf Solopfaden. Am 24.04.2015 veröffentlichte Martin das Instrumentalalbum MG, während Dave erneut mit den Soulsavers zusammenarbeitete und am 23.10. das Album Angels & Ghosts herausbrachte.
"Als ich an dem Delta Machine-Projekt arbeitete, hatte ich vier oder fünf Instrumentalstücke übrig,
die wir nicht genutzt hatten", sagte Martin über MG. "Ich hatte also diese heimatlosen
Instrumentalstücke, was mich auf die Idee brachte, noch ein paar dazu zu schreiben und ein Instrumentalalbum
zu veröffentlichen. Ich dachte, es wäre ein gutes Konzept, und es war etwas, das ich noch nie gemacht hatte."[1]
"Wir hatten nach dem ersten Soulsavers-Album nie wirklich aufgehört, gemeinsam Musik zu schreiben",
erklärte Dave zum Entstehen von Angels & Ghosts. "Selbst als ich mit Depeche auf Tournee
war, hatte ich Ideen. Am Ende der Depeche-Tour verbrachte ich eine Weile damit, die Wände anzustarren.
Das mache ich jedes Mal, aber diesmal war es schlimmer. Ich hatte das Gefühl eines großen Verlust.
'Es ist vorbei.'' Das traf mich sehr heftig. Also saß ich deprimiert herum, bis Rich von den Soulsavers
mir Musik schickte und ich anfing, daran zu arbeiten und es sehr therapeutisch fand. Ich begann,
mich selbst aus dem Loch zu schreiben, in das ich gefallen war."[2]
Es fiel ihnen leicht, von den Solowerken wieder auf DM umzuschwenken und ein neues Album zu beginnen.
"Als ich 2015 mit meinem MG Soloalbum fertig war, schrieb ich einfach weiter",
berichtete Martin. "Als ich den Eindruck hatte, genug Songs wie Going Backwards zusammen zu
haben, und Dave - der sein Soloalbum ebenfalls beendet hatte - auch genug Songs geschrieben hatte, trafen
wir uns. Wir sprachen darüber, uns einen neuen Produzenten zu suchen, da wir die letzten drei Alben mit
dem gleichen Mann gemacht hatten, fanden James Ford - und fingen an."[3]
Die Produktion von Spirit verlief ziemlich flott.
"Wir haben diesmal einen anderen Produzenten, James Ford", erzählte Fletch, "und wir haben viel
schneller gearbeitet als sonst. Wir wurden tatsächlich früh fertig, was unglaublich ist. Normalerweise
brauchen wir vier Sessions plus Mixen. Für dieses Album haben wir nur drei Sessions gebraucht.
Sonst werden wir kurz vor Weihnachten fertig und haben dann ein paar Wochen frei, ehe wir die Promotion
beginnen, aber dieses Mal hatten wir etwas länger frei."[4]
"Wir haben das Album Spirit genannt, weil es um Fragen geht wie: 'Was ist mit dem Mut passiert?',
'Wo ist die Seele der Menschen?'", erklärte Dave. "Wir hatten überlegt, es Maelstrom zu nennen,
aber das war ein bisschen zu sehr Heavy Metal."[5] Ach, wäre doch ein ganz interessanter Titel gewesen ...
Spirit war weitaus politischer als jedes andere Album zu diesem Zeitpunkt.
"Während ich an den Songs für Spirit schrieb, hatte ich wirklich das Gefühl, dass die Welt in
einem totalen Chaos ist", sagte Martin. "Die Menschheit hat ihren Weg verloren. Meine Hoffnung ist,
dass wir vielleicht ein paar Werte zurückgewinnen, wenn man die Dinge beim Namen nennt. Nun mag ich
Musik und ihre Wirkung vielleicht zu wichtig nehmen - ich weiß nicht, ob sie die Welt verändern kann -,
aber wenn wenigstens einer davon berührt wird, habe ich schon etwas erreicht."[6]
Dave sah in der Zeile Where's the revolution? Come on people you're letting me down
[Wo bleibt die Revolution? Ihr enttäuscht mir, Leute] "das Herzstück des Albums. Wir fragen uns und die
Welt das wirklich. Was passiert? Was ist bloß los? Wir alle fühlen es und niemand scheint eine Antwort zu
haben. Ich denke, man kann sagen, dass dieses Album die Welt da draußen weitaus mehr reflektiert als das,
was in uns drin passiert. Und das, was draußen passiert, wird gerade zu viel."[7]
Where's The Revolution wurde allerdings nicht direkt von den aktuellen Geschehnissen beeinflusst.
"Martin schrieb den Song schon vor einigen Jahren", erklärte Fletch. "Wir eifern also keinem Trend nach,
sondern es war bereits vor einigen Jahren."
Dennoch sind sie inzwischen Experten, was die amerikanische Präsidentschaftswahl anbelangt, da die fast immer
in dem Jahr stattfindet, in dem DM anfangen, ein neues Album aufzunehmen.
"Normalerweise schreiben wir Songs über die Welt, in der wir leben, und das Leben im Allgemeinen", sagte
Fletch, "also über Beziehungen und Probleme, die Leute in ihrem Privatleben haben. Martin hatte
jedoch den Eindruck, dass derzeit viele Dinge falsch laufen, und er fand, dass er darüber schreiben sollte."[8]
Und Martin erklärte: "Es ist reiner Zufall, dass das Album gerade jetzt rauskommt. Ich kann also nicht
behaupten, dass die Songs alle von Trump handeln. Es erscheint nur wie das perfekt Timing, weil die Welt
ein solches Chaos ist. Doch die meisten der Songs wurden 2015-2016 geschrieben, also war die Welt
zu dem Zeitpunkt auch schon im Chaos. Es ist nur ein bisschen schlimmer geworden."
Er war entsetzt darüber, wie viele Leute "diesen Idioten" gewählt haben, und dennoch bezeichnete der Führer
der Ultrarechten in den USA, Richard Spencer, DM als die "offizielle Band der Ultrarechten."
"Ich muss sagen, wir waren total schockiert", äußerte Fletch. "Wenn überhaupt sind wir das Gegenteil."
"Er sagt, er ist ein großer Fan", fügte Martin hinzu, "aber er hat sich unsere anscheinend Texte nie
angehört. Ich denke, er ist nicht ganz richtig im Kopf. Ich denke, die Leute wissen mehr oder weniger,
wo wir politisch stehen - jeder auf der Welt, außer Richard Spencer."[9]
Dave fand, dass man sich die Songs auch auf andere Art und Weise anhören könnte. "Einige der Songs
haben einen politischen Text, aber ich höre mir Musik nicht deswegen an. Musik kann mich informieren, sodass
ich mich dazu aufgefordert fühlen kann, etwas zu tun, etwas zu hinterfragen oder meine Einstellung zu etwas
zu überprüfen. Wenn das so ist - toll. Aber gleichzeitig ist es Musik und sie ist da, um einen zu unterhalten."[10]
Aber Martin schrieb auch ein paar persönlich motivierte Songs. "Die dunklen, aber humorvollen Zeilen in
Eternal habe ich für meine Tochter geschrieben. Ich hatte da so eine Vision von einem Atompilz,
der aufsteigt, und dann regnet die Radioaktivität herab."[11] Wenn er meint ... Ich finde es eher merkwürdig,
eine radioaktive Wolke mit einem kleinen Mädchen zu assozieren ...
Wie immer behaupteten sie, dass die Atmosphäre und die Zusammenarbeit großartig gewesen wären, nur um dann
prompt ein Beispiel zu finden, das das Gegenteil beweist.
"Es handelt davon, wie schön Kommunikation sein kann, davon, dass man verstanden und geliebt werden will",
sagte Dave über Cover Me. "Ich habe fast mein ganzes Leben damit verbracht, das zu erreichen.
Aber manchmal, wenn ich es dann erhalte, weiß ich nicht, was ich damit anfangen soll. Wenn diese Seite in
mir sich nach einer Verbindung sehnt, versuche ich, diese herzustellen - und sie entzieht sich mir."
Er zeigte Martin diese Zeilen, der die Metapher nicht verstand, was Dave wütend machte. "Was zur Hölle weißt
du schon? Ich habe deine Songs nie infrage gestellt, Martin, ich hab sie einfach gesungen!"[12]
Spirit wurde am 17.03.2017 über Columbia Records und Mute Records veröffentlicht. Davor,
am 03.02., war die Single Where Is The Revolution erschienen, gefolgt von den Singles
Going Backwards am 23.06. und Cover Me am 06.10. Wie in den vergangenen Jahren
üblich gab es etliche Remixe und verschiedene digitale und physische Veröffentlichungen.
Dave trug vier Songs zu dem Album bei - You Move (eine Co-Produktion mit Martin), No More
(mit Kurt Uenala), Cover Me und Poison Heart (beide mit Christian Eigner und Peter Gordeno).
Er sang alle Songs außer Eternal und Fail, die von Martin gesungen wurden. Es gab keine
Instrumentaltitel.
Und natürlich planten sie, das Album zum Anlass für eine Tournee zu nehmen, zumal besonders Dave noch
immer ein unruhiger Mensch ist. "Ich versuche verzweifelt, nichts zu tun, zumal es immer wieder mal
wie eine gute Idee erscheint. Aber mir geht es gar nicht so gut damit, wenn ich nichts tue. Meine Frau
erträgt das eine Zeitlang, dann fordert sie mich dazu auf, mir eine Beschäftigung zu suchen."[13]
Das ist dann vermutlich auch der Hauptgrund, auf Tournee zu gehen. Nicht so sehr das Geld, wie es einige
Leute vermuten.
"Die Bühne ist der einzige Ort, an dem ich nicht spüre, wie alt ich bin", erklärte er. Andererseits:
"Der Gedanke, ich könnte noch auf der Bühne stehen, wenn ich 70 bin, erschreckt mich. Ich finde das wirklich
erschreckend. Die Idee, in dem Alter an einem einsamen Strand spazieren zu gehen, hoffentlich noch immer
mit Jennifer, dazu ein paar Hunde und mit einem Bart, der bis hier geht, gefällt mir besser. Ich habe
das Gefühl, dass ich dem Punkt, an dem ich mit dem Touren aufhören muss, immer näher komme."[14]
Nun, erst mal ist dieser Punkt noch nicht gekommen. Nach ein paar Pre-Tournee-Auftritten zwischen dem 01.03. und 03.05.2017 in verschiedenen Städten begann die Global Spirit Tour am 05.05. in Stockholm. Es war der Auftakt zu einem europäischen Abschnitt mit 33 Konzerten. Der zweite Abschnitt begann am 23.08. in den USA, der dritte war wieder ein europäischer, der am 15.11. begann. Es ist noch ein vierter Abschnitt in Südamerika und ein fünfter Abschnitt wieder in Europa im Sommer 2018 geplant, der voraussichtlich am 25.07. in Berlin enden wird.
Auf der Tour wurde auch der Song Heroes gespielt, als ein Tribut an David Bowie, der Song, der, wie jeder DM-Fan weiß, Dave zu DM gebracht hatte. "Ich hatte es in den Nachrichten gesehen, aber erst, als meine Frau mir sagte, dass er gestorben wäre, brach ich in Tränen aus. Meine Tochter kam dazu, und sie umarmten mich beide. Es hat mich wirklich getroffen, ich empfand es als großen Verlust.[15] Bowie hatte seit meiner Teenagerzeit einen großen Effekt auf mich. Er repräsentierte etwas, das ein bisschen anders war, aber er hatte auch kein Problem damit, etwas zu tun, was als normal empfunden wurde. Das sprach mich an und tröstete mich auf gewisse Weise, vor allem als Teenager. Seine Musik war immer bei mir. Und ich habe ihn im Laufe der Jahre immer mal wieder getroffen. Meine Tochter und seine Tochter gingen für einige Jahre auf die gleiche Schule, weshalb ich ihn bei Schulangelegenheiten traf. Die eine Sache, die ich bedauere - natürlich erst, nachdem er gestorben war - ist, dass ich ihm nie gesagt habe, wie viel mir seine Musik bedeutet hat. Ich dachte immer, es wäre irgendwie komisch, das zu tun, vor allem, wenn wir uns in der Schule trafen, wo wir einfach nur zwei Väter waren, die wegen ihrer Kinder dorthin kamen. Aber es hat mich total schockiert, als er starb. Er war zu jung."[16]
(Thank you very much! See you next time! - mit freundlicher Genehmigung von © Ingo B.)
Quellenangaben:
[1] Europa Hymn, Martin Gore interviewed, Clashmusic, 01.04.2015. Autor: Mat Smith
[2] Dave Gahan: "People would throw bags of drugs on stage", The Guardian, 8.10.2015. Autor: Peter Robins
[3] A conversation with Depeche Mode's Martin Gore, Magnet Magazine, 2017. Autor: A.D. Amorosi.
[4] Depeche Mode Thinks We've Lost Our Spirit, Track Record, 03.03.2017. Autor: Jessie Peterson.
[5] Depeche Mode's Dave Gahan on Urgent New Spirit LP, David Bowie influence, Rolling Stone, 02.02.2017. Autor: Kory Grow.
[6] A conversation with Depeche Mode's Martin Gore, Magnet Magazine, 2017. Autor: A.D. Amorosi.
[7] Depeche Mode, interview: Maybe it would be the death of us if we suddenly started being recognised, Standard, 14.10.2016. Autor: David Smyth.
[8] Depeche Mode Thinks We've Lost Our Spirit, Track Record, 03.03.2017. Autor: Jessie Peterson.
[9] 'I Can't Claim That The Songs Were All Written for Trump', Yahoo Music, 17.03.2017. Autor: Chuck Arnold.
[10] The Landscape Is Changing: Depeche Mode Singer Dave Gahan on the Band's World-Weary, Pissed-Off New Album 'Spirit', Billboard, 14.03.2017. Autor: Andrew Unterberger.
[11] A conversation with Depeche Mode's Martin Gore, Magnet Magazine, 2017. Autor: A.D. Amorosi.
[12] Depeche Mode's Dave Gahan: why I don't understand my own band, newstatesman, 01.06.2017. Autor: Kate Mossman
[13] Dave Gahan: "People would throw bags of drugs on stage", The Guardian, 08.10.2015. Autor: Peter Robins.
[14] Depeche Mode's Dave Gahan: why I don't undestand my own band, newstatesman, 01.06.2017. Autor: Kate Mossman.
[15] Depeche Mode's Dave Gahan on Urgent New Spirit LP, David Bowie influence, Rolling Stone, 02.02.2017. Autor: Kory Grow.
[16] 'We're the most opposite' of an alt-right band / on David Bowie's death: 'I broke down', USA Today, 13.03.2017. Autor: Patrick Ryan.